Rede von Außenministerin Baerbock vor dem Uno-Sicherheitsrat

Annalena Baerbock bei ihrer Rede vor dem Uno-Sicherheitsrat, Foto: © Eskinder Debebe / United Nations Photo

Rede von Außenministerin Annalena Baerbock beim Sicherheitsrat der Vereinten Nationen
24.02.2023, New York

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

Butscha, Charkiw, Mariupol, Bachmut. Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine bringt nichts als Zerstörung, Leid und Tod.

Die Generalversammlung hat gestern eine starke Botschaft gegen diesen skrupellosen Krieg ausgesandt. Eine überwältigende Mehrheit von 141 Staaten ist geeint für Frieden in der Ukraine aufgestanden. Für einen gerechten, umfassenden und dauerhaften Frieden. Und die Generalversammlung hat einen Friedenplan präsentiert – einen Friedensplan basierend auf den Grundsätzen der VN‑Charta.

Heute blicken die Augen der Welt auf den Sicherheitsrat – das Gremium, das für die Aufrechterhaltung von Frieden und Sicherheit in dieser Welt die maßgebliche Verantwortung trägt. Jede weitere Bemühung zu Frieden durch ein Mitglied dieses Rates ist aus meiner Sicht wertvoll. Aber Frieden muss auch Frieden bedeuten. Frieden darf nicht bedeuten, dass wir ignorieren, wer der Aggressor ist – und wer das Opfer. Denn Unterwerfung ist kein Frieden.

Den Aggressor nicht beim Namen zu benennen – das würde bedeuten, eine Welt zu akzeptieren, in der die Stärksten das Sagen haben. Es würde bedeuten, eine Welt zu akzeptieren, in der das Bombardieren von Schulen, das Verschleppen von Kindern und das Herunterschießen von Menschen von ihren Fahrrädern ein Teil von Außenpolitik ist. Nicht an der Seite des Opfers zu stehen – das würde eine Welt bedeuten, in der keiner von uns mehr ruhig schlafen kann, weil wir alle den Angriff eines stärkeren Nachbarn fürchten müssten.

Um solch eine Welt zu verhindern, wurden die Vereinten Nationen gegründet. Deshalb können wir nicht tatenlos zusehen. Die Charta verpflichtet uns alle – die Nationen dieser Welt – zu handeln.

Ich weiß, dass einige von Ihnen behaupten, dass wir mit unseren Sanktionen gegen den Aggressor, mit unserem Beistand für die Ukraine, mit unserer Unterstützung der Ukraine in ihrem Recht auf Selbstverteidigung Öl ins Feuer gießen.

Ich frage Sie: Wo würde die Ukraine – die freiwillig Atomwaffen aufgegeben hat, weil sie an Frieden glaubte – heute stehen, wenn wir sie nicht in ihrem Recht auf Selbstverteidigung unterstützt hätten? Wenn wir die Menschen dort – Ältere, Mütter, Väter, Kinder – nicht unterstützt hätten, gemeinsam mit so vielen internationalen Partnern? Können wir uns vorstellen, was das bedeuten würde? Mehr Butschas, Charkiws, Mariupols, mehr Bachmuts? Mehr Grausamkeiten gegen Zivilisten? Mehr Kinder, die Bilder von Häusern zeichnen, in denen ihre Liebsten einmal gelebt haben? Mehr Kriegsverbrechen, mehr Verbrechen gegen die Menschlichkeit? Und wir schauen dabei tatenlos zu?

Ich möchte mir eine solche Welt nicht vorstellen. Und ich möchte für eine solche Welt nicht verantwortlich sein. Ich denke, die meisten von uns hier möchten für eine solche Welt nicht verantwortlich sein.

Deshalb möchte ich unterstreichen, was Secretary Blinken gesagt hat: Wenn die Ukraine aufhört, sich zu verteidigen – dann bedeutet das das Ende der Ukraine. Wenn wir aufhören würden, an der Seite der Ukraine zu stehen, dann würde das das Ende der Ukraine bedeuten.

Der russische Vertreter hat gerade vor wenigen Minuten hier in diesem Rat gefragt: „Warum denken Sie, dass das das Ende der Ukraine wäre?“

Weil Ihr Präsident uns vor einem Jahr gesagt hat, dass er die Ukraine demilitarisieren will. Und wir haben 365 Tage und Nächte lang gesehen, was das bedeutet: Dass Ihre Panzer kein Wasser gebracht haben. Dass Ihre Flugzeuge keine Babynahrung abgeworfen haben. Nein, Tag und Nacht haben Ihre Panzer und Flugzeuge nur Zerstörung und Tod gebracht, für Tausende, für Väter, Mütter und Kinder. Und Sie haben Tod und Zerstörung auch in die Welt gebracht. Nicht direkt, mit Panzern und Bomben, aber durch die Ernährungskrise. Ja, Sie können sich selbst täuschen – aber Sie können nicht die Welt täuschen.

Alle von uns, die ernsthaft und ehrlich an einen Frieden glauben, der auch wirklich Frieden bedeutet, an einen Frieden auf der Grundlage der Charta der Vereinten Nationen, müssen jetzt Farbe bekennen – und sich auf die Seite des Friedensplans der Generalversammlung stellen.

Präsident Putin spekuliert, dass wir in unserer klaren Position gegen diesen Krieg irgendwann ins Wanken geraten. Er spekuliert, dass er, wenn er nur Kurs hält, für diesen Angriffskrieg belohnt wird. Für einen Krieg, der auch für sein eigenes Volk großes Leid verursacht. Etwa 200.000 Russinnen und Russen wurden bereits getötet oder verwundet. Hunderttausende haben ihr Land verlassen, weil sie nicht Teil dieses Krieges sein möchten. Russische Kinder gehen jetzt in deutsche Schulen – und ich bin sehr froh darüber. Über 1.000 internationale Unternehmen haben sich aus Russland zurückgezogen – und einen maßgeblichen Teil von Russlands Wohlstand und Wissen mitgenommen.

Dieser Krieg ist nicht der Krieg der Welt. Dieser Krieg ist nicht der Krieg des russischen Volks. Dieser Krieg ist Putins Krieg. Der russische Präsident riskiert die Zukunft seines eigenen Landes, seiner Soldaten, seiner Kinder.

Deshalb liegt ein gerechter Frieden – der Friedensplan, der gestern von 141 Staaten in der Generalversammlung präsentiert wurde – auch im Interesse der Menschen in Russland.

Wenn ich mich an diesem Tisch umsehe, mache ich mir keine Illusionen:

Wir werden den russischen Vertreter nicht überzeugen – er hört nicht einmal zu. Aber was wir erreichen können, ist, dass dieser Rat vor Butscha, Charkiw, Mariupol und Bachmut nicht die Augen verschließt, vor den Menschen und Kindern in der Ukraine. Was wir tun können, das ist einzutreten für eine Welt, in der Frieden auch Frieden bedeutet.

Quelle: Auswärtiges Amt